Digitalisierung schreitet voran und wird auch in der Bankbranche tagtäglich deutlich. Wie Investoren, Unternehmen, Start-ups, Talente und Kompetenzentwickler die Steuerung der Digitalisierungsrisiken für die Geschäftsmodelle jedoch systematisch in den Griff bekommen, ist völlig offen, meinen die BBL-Kolumnisten Dr. Peter Lender und Prof. Dr. Arnd Wiedemann. Gesucht sind daher „Messgeräte und Werkzeuge“ der Digitalisierung.
Es scheint aktuell häufig in Diskussionsrunden und Foren mit n-Teilnehmern n+1 Meinungen und Wertungen zur Digitalisierung zu geben. Zunächst ist der scheinbare Widerspruch zwischen „alles beim alten“ und „alles neu“ aufzuklären. Zum ersten ist festzuhalten, dass Digitalisierung nichts an den grundlegenden Regeln und Mechanismen des Wirtschaftens verändert. Wofür bezahlt ein Kunde und was ist das wirkliche Geschäftsmodell eines Unternehmens? Kunden kaufen Dienstleistungen und Produkte, weil sie einen Gegenwert erwarten. Den Preis, den Unternehmen am Markt und bei ihren Kunden realisieren können, ist genau das, was der Kunde dafür bezahlt. Der Gegenwert besteht aus dem Nutzen des Produkts oder der Dienstleistung und einem mit ihm oder ihr verbundenen Image. Diese Grundlagen gelten sowohl für analoge als auch für digitale Geschäftsmodelle.
Festzuhalten ist aber auch, dass die digitale Transformation durch die Vernetzung und Automatisierung, den digitalen Kundenzugang, die Verbindung zwischen Menschen, Maschinen und Umwelt und die Generierung und Nutzbarmachung digitaler Daten grundlegende Veränderungen des Wirtschaftens auslöst. Aus der intelligenten Kombination dieser vier Faktoren werden vorhandene Produkte und Dienstleistungen ersetzt. Im Ergebnis stellt sich nicht mehr die Frage „ob“ digitalisiert wird, sondern nur wann, wo und von wem?
Die Umsetzung der Digitalisierung wird beschleunigt durch Preissenkungen bei Prozessoren, Sensoren, Servern und mobilen Datennetzen. Die zunehmende Wirtschaftlichkeit hat in einigen Branchen längst zum „GDD“, dem globalen digitalen Darwinismus geführt. Das bedeutet: Der künftige wirtschaftliche Erfolg hängt von der erfolgreichen Umsetzung der Möglichkeiten der Digitalisierung ab. Zudem ist erkennbar, dass die Veränderungsraten der Umsetzung der Digitalisierung – vergleichbar zu anderen Wellen wie Elektrifizierung oder Mobilisierung – exponentiell verlaufen. Dies entspricht dem Verlauf der langlaufenden Kondratieff-Wellen.
Im Unterschied zu früheren Wellen ist die Steigerungsrate der Veränderungen respektive die Veränderungsgeschwindigkeit durch die Digitalisierung aber größer. Erinnert sei an dieser Stelle an Albert Einstein, der schon 1932 meinte: „Die größte Gefahr in Zeiten des Umbruchs ist nicht der Umbruch selbst, sondern ihm mit veralteter Logik zu begegnen“. Für die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen sind deshalb folgende Fragestellungen von entscheidender Bedeutung:
Für die Umsetzung der Digitalisierung und das Heben der Nutzenpotenziale erscheinen die folgenden zehn Faktoren besonders bedeutsam:
Diese Faktoren sind in ihrer Wirkung auf das Geschäftsmodell jeweils einzeln, in direkter Verkettung und indirekter Vernetzung zu bewerten. Die Komplexität dieser Aufgabe spiegelt sich in den rechnerisch möglichen 10 + 910 Kombinationen wider, die – zumindest theoretisch – einzeln auf Realisierbarkeit, Sinn- und Nutzenstiftung und Marktakzeptanz zu überprüfen wären.
Verständnisses und der Vorhersehbarkeit der Wirkung der Faktoren der Nutzungspotenziale von Digitalisierung ergeben sich einfache, komplizierte, komplexe oder chaotische Modellkombinationen (s.dazu Abb. 1). Eine solche Bewertung möglicher künftiger Geschäftsmodelle oder auch ein daraus abgeleitetes Innovationsmanagement sind nicht erst seit der digitalen Transformation eine Herausforderung für Unternehmen.
In der Rückschau ist erkennbar, dass die Bewertung von Innovationen im Hinblick auf ihr (technisches) Potenzial sowie die damit verbundenen Marktmöglichkeiten schon immer der entscheidende Erfolgsfaktor waren. Aus Sicht eines Unternehmens ist daher zu Beginn die Frage in den Mittelpunkt zu stellen, welche Ziele mit einem Digitalisierungsprojekt erreicht werden sollen: Das Angebot neuer Wertversprechen oder das Angebot neuer Nutzenstiftungen – oder beides.
Empirische Studien haben ergeben, dass Unternehmen überdurchschnittlich erfolgreich sind, wenn sie beide Dimensionen – neue Kunden mit neuem Angebot – abdecken. Daher sollten auch beide Dimensionen bei einer Risikobetrachtung berücksichtigt werden. Zusätzlich ist in Bezug auf das Geschäftsmodell die Frage zu beantworten: Was soll digitalisiert werden – der Vertriebskanal und/oder das Produkt bzw. die Dienstleistung?
Die in Abbildung 3 aufgeführten Beispiele zeigen, dass eine differenzierte Betrachtung der Digitalisierung notwendig ist. Der Nutzen des Produkts bzw. der Dienstleistung ist in Bezug auf den Faktor „digitaler (virtueller) Kundenzugang“ zu bewerten. Gerade der digitale Kundenzugang hat in Bezug auf den stationären Einzelhandel und vor allem auch in Bezug auf die Bankenbranche einen disruptiven Charakter („Amazonisierung des Handels“) und ist daher bei der Risikobetrachtung besonders zu bewerten.
Zusammenfassend lassen sich die notwendigen Veränderungen für ein zukunftsfähiges Geschäftsmodell wie folgt verdichten:
Digitalisierung wird die Gesellschaft und die Wirtschaft – analog zu vorherigen Zyklen – weiterhin exponentiell tiefgreifend verändern.
Globale Veränderungsprozesse sind nicht aufzuhalten.
Veränderungsprozesse verlaufen ähnlich zu früheren Wellen wie der Elektrifizierung – jedoch in deutlich kürzeren Zeiträumen.
Die intelligente Nutzung der Digitalisierung wird zu wirtschaftlichem Erfolg führen. Der künftige wirtschaftliche Erfolg wird von der erfolgreichen Umsetzung der Möglichkeiten der Digitalisierung abhängen.
Manager und Kreditentscheider in Banken und Sparkassen müssen die Auswirkungen der Digitalisierung in Bezug auf die Regeln und Mechanismen des Wirtschaftens verstehen, um neue digitale Geschäftsmodelle verstehen und bewerten zu können.
Risikosysteme von Kreditinstituten müssen künftig auch den Digitalisierungsgrad (Soll/Ist) von Kreditnehmern erfassen und abbilden.
Das Risiko der „Nicht-Digitalisierung“ ist systematisch zu messen.
Dr. Peter Lender ist Geschäftsführer der digum GmbH und Mitherausgeber des Blogs Transformations-Magazin.com.
Prof. Dr. Arnd Wiedemann ist Lehrstuhlinhaber für Finanz- und Bankmanagement an der Universität Siegen.